Stettin (POL)

 

Ein sommerlicher Samstag in und um Stettin

 

Stargard SzczecińskiGórnik Wałbrzych

27.07.2013, II Liga, Grupa Zachodnia, Stadion Miejski, Endstand: 2:0

Pogoń Szczecin – Legia Warszawa

27.07.2013, Ekstraklasa, Stadion Floriana Krygiera, Endstand: 0:3

So kurz vor dem Ende der Sommerpause juckte es schon gewaltig. König Fußball ließ uns ergebene Untertanen mal wieder ganz schön zappeln, doch nicht so in Polen – dort stand bereits der zweite Spieltag der Ekstraklasa an, der ersten Liga. Hier fiel unsere Wahl auf das Spätspiel, sodass wir mittags noch stressfrei eine Partie der dritthöchsten Spielklasse quasi vor den Toren von Stettin besuchen konnten. Unsere Reisegruppe bestand aus vier Personen, davon drei Kombinatler und ein Macher von Samstag Halb Vier, und am Freitag um 10 Uhr startete die Tour per Mitfahrgelegenheit. Diese kostete uns 15,- pro Nase und brachte uns direkt zum Berliner Hauptbahnhof, von wo es mit dem Fahrschein des VBB für 10,- Euro (ermäßigt, z.B. BC 25 nur 7,50 Euro) weiter nach Stettin ging. Es passte alles, und so waren wir bereits gegen 14:35 in der siebtgrößten Stadt Polens. Und es war heiß.

Szczecin Am Bahnhof trieben sich schon nicht sehr sympatisch aussehende Fußballfans herum und beim Eintreffen des nächsten Zuges wussten wir auch warum. In diesem saßen einige Legia-Anhänger und wer nun weiß, dass beide Fangruppen total dicke miteinenader sind, musste sich nicht über das lautstarke Spektakel der Begrüßung wundern. Unser erster Weg führte uns zur Wechselstube (1 Euro = 4,13 Zloty), der zweite zum Stadion Floriana Krygiera, denn für das zu erwartende Event wollten wir schnellstmöglich Karten besitzen. Gut, schnellstmöglich war dann relativ, denn zunächst standen wir an den falschen Schaltern, erfuhren das aber erst als wir dran waren, also nochmal anstellen… Grund dafür ist, dass man bei den meisten Spielen des Polnischen Fußballverbands eine sogenannte Karta Kibica benötigt; mit der wird man registriert und erhält das Recht, eine Karte für Spiele des ausstellenden Vereins zu kaufen. Dementsprechend langsam ging es voran. Personalien erfassen, liebloses Foto per Webcam machen, Plastikkarte bedrucken und elektronisch aktivieren, dann ein Spielticket ausstellen (vorher natürlich den Platz diskutieren) und abschließend alles noch abkassieren – das dauert seine Zeit.

Szczecin Zum Glück hatten wir das einen Steinwurf vom Stadion gelegene Marina Hotele Twardowskiego gebucht, sodass nach Check-In und Kurzdusche die Stadterkundung begann. Nett der Hinweis der Hotelangestellten, dass an diesem Wochenende einige Fußballfans hier residieren würden und es daher lauter werden könne – konnten wir lässig abwinken. Auf dem Hinweg hatten wir schon Ecke Jagiellonska/Aleja Piastow einen kleinen Biergarten entdeckt, der zu einem Restaurant mit unaussprechlichem Namen gehört, und nun unser erster Anlaufpunkt sein sollte. Zufällig sprach die sehr nette Bedienung auch etwas Deutsch und begann sogleich, die Karte von Anfang an zu übersetzen. Ihrer Empfehlung für ein rustikales Essen folgten wir und wurden nicht enttäuscht: Es gab einen großen Reibekuchen, der calzoneähnlich mit einer Art Gulasch gefüllt war, dazu geraspelten Salat. Auch die Liste der vegetarischen Gerichte konnte sich sehen lassen. Dazu gab es Bosman Bier vom Fass – alles lecker. Zur Verdauung spazierten wir kreuz und quer durch das Zentrum Stettins. Hier gab es an mehreren Orten Live-Musik, natürlich die Oder und viele Gebäude, denen man die Nähe zum Meer und zu Deutschland ansehen konnte, deutlich hanseatisch eben. Auf dem Rückweg sahen wir, dass die Polizei eine Seitenstraße, in der einige Kneipen waren, beidseitig abgesperrt hatte. Grund hierfür waren lautstark feiernde Pogon- und Legia-Fans. Und wie wir so unser Gute-Nacht-Bier mit uns herumtrugen, wurden wir wenig später fälschlich des Trinkens in der Öffentlichkeit verdächtigt und aufgefordert, die Flaschen versteckt weiter zu transportieren.

Stargard Die Nacht war sehr warm, und die Gäste aus Warschau sehr gut drauf – bis in die frühen Morgenstunden gab es immer mal wieder Stimmung, von der Qualität muss ich hier sicher nicht ausführlich berichten. Die des Frühstücks war allerdings gut, reichlich und schmackhaft, wenn man sich nicht an Einfachheit stört, z.B. löslicher Kaffee. Es war alles da, was man auch von deutschen 2-3 Sterne Hotels kennt, ein Koch bereitete auf Wunsch Würstchen oder Rührei zu.
Ein Taxi brachte uns zum Bahnhof, ein IC uns weiter nach Stargard Szczecinski. Da die Schalter voll waren, wandten wir uns an den Infostand und erfuhren, dass man Tickets auch im Zug lösen kann – leider kam niemand, um uns eines zu verkaufen. Direkt nach unserer Ankunft wurde folgerichtig das Rückfahrticket gekauft. Draußen machten sich gerade Polizisten bereit, um die wohl in Kürze anreisenden Auswärtsfans in Empfang zu nehmen und in den wartenden blau-gelben Bus zu verfrachten. Wir machten uns derweil per Pedes auf in Richtung Stadion Miejski, was ´Städtisches Stadion´ bedeutet. Hier reichte die Vorlage unserer Ausweise zum Ausstellen einer Eintrittskarte per Hand. Erwähnte ich schon, dass es heiß war? Die Zeit bis Anpfiff um 13 Uhr verbrachten wir überwiegend im Schatten, dann wurde auch schon der Grill angeworfen und die Spieler machten sich warm. Schöne Geste der Gäste von Gornik Walbrzych, die ihre Fans erstmal mit einem 6er-Träger Wasser versorgten, denn Schatten war direkt ums Spielfeld Mangelware.

Stargard
Zum Spiel. Mit Anpfiff des Spiels warfen die Heimfans weiße Papierrollen aufs Feld, was prompt die erste Unterbrechung nach sich zog, weil einige Kinder das Zeug wieder vom Rasen sammeln mussten. Stargard als Aufsteiger bestimmte die erste Hälfte klar. Entsprechend wenig verwunderlich war die Führung der Hausherren nach 9 Minuten, aber auch danach fanden die Gäste nicht statt – lediglich eine harmlose Hereingabe war zu verzeichnen. Zwischendurch gab es noch eine Trinkpause, die aber an der Spielgewichtung nichts änderte. Die Gastgeber hätten sogar noch erhöhen können. In der Halbzeit mussten wir dann dringend in den Schatten, wo auch die zweite Halbzeit verblieben wurde. Stargard Beide Fanlager leisteten sich großzügige Auszeiten beim Support, die Auszeiten von Walbrzych auf dem Feld gerieten aber kürzer, es wurden sogar Chancen generiert – allerdings vergebens. Die Entscheidung dann auf der anderen Seite: Der Schiri sah eine Notbremse des Gästekeepers und verwies diesen konsequent des Feldes. Den fälligen Elfer verwertete Stargard humorlos zum 2:0 Endstand (60.). So konnten fast alle der 1100 anwesenden Besucher zufrieden von dannen ziehen. Es gibt übrigens auch ein Video vom Spiel. Am Bahnhof traf dann die, von Polizei und Spezialeinheit begleitete, Gästeschar kurz nach uns ein. Drei ausgesuchte Leute durften in strenger Begleitung im Bahnhofsladen Wasser für alle kaufen, der Rest wurde derweil auf den richtigen Bahnsteig geleitet. Keine Dreiviertelstunde später hatte der Stettiner Hauptbahnhof unsere durchgeröstete Reisetruppe wieder.

Szczecin Auf dem Weg zur erfrischenden Dusche im Hotel kehrten wir zur Nahrungsaufnahme erneut in besagten Biergarten ein, heute gab es Piroggen mit gemischten Füllungen, was wieder enorm schmackhaft war, und wenn nach so einer Hitze ein kaltes Bosman dazukommt, ist das schon ein erhebendes Gefühl. Sehr schicke Gläser übrigens, weswegen natürlich die Frage kommen musste, ob wir jeder so ein Glas kaufen könnten. Aber da hatten wir die Rechnung ohne unsere quasi abonnierte Kneipenmutti gemacht, denn ohne zu zögern schenkte sie uns einen ganzen 6er-Karton und zauberte so ein Lächeln auf vier sonnengegarte Gesichter. Gehen mussten wir aber dann doch, um rechtzeitig im Stadion Floriana Krygiera zu sein. Das hat wohl auch der Legia-Fan geschafft, der zwischenzeitlich komatös auf dem Tisch unter unserem Hotelfenster ruhte, aber irgendwann Richtung Stadion wankte. Weit hatte er es ja nicht. Irgendwo ist es ja auch verständlich, dass man vortankt ohne Rücksicht auf Verluste, wenn es im Stadion keine alkoholischen Getränke gibt; sahen wir ja auch schon in Schottland bei Celtic. In Stargard war das alles überhaupt kein Problem, aber Bier o.ä. suchte man auch dort vergebens – wenn man es denn bei der Hitze wirklich suchte.

Szczecin
Im Stadion bewahrheitete sich dann, was die ganze Zeit schon so unterschwellig durchkam. Der Anteil an offensichtlich rechtsorientierten bis – extremen Fans gerade bei Legia, aber auch bei Pogon war sehr hoch – ist vielleicht kein Geheimnis, aber in der Selbstverständlichkeit, wie das nach außen dargestellt wird, schon krass. White Power Zeichen auf Legia-Shirts, auf Schals in Einheit mit dem Vereinswappen gestickt, viele ´Good night left side´-T-Shirts und -Banner (u.a. direkt am Podest des Capos), Anti-Antifa Klamotten… derart gab es einiges zu sehen. Hoffentlich war es nicht diese Dominanz, die nur knapp 12.000 Zuschauer zu dieser mit hohem Unterhaltungswert ausgestatteten Begegnung lockte. Szczecin Denn von der Atmosphäre her gab es nix zu meckern, das alte, zu einer Seite offene Stadion hat schon Charme, man munkelt, dass der Bau einer Arena aber bereits beschlossen sei. Die Pogon Anhänger hatten etwa ein Drittel ihrer Heimkurve den Gästen aus Warschau zur Verfügung gestellt, und mit nunmehr zwei Vorsängern wurde die Stimmung koordiniert. Lange vor Anpfiff wurde die Fanfreundschaft lautstark betont, Wechselgesänge (auch des “gegnerischen” Liedgutes), gemeinsame Gesänge, gemeinsames Beklatschen beider Mannschaftsaufstellungen, usw. Sehr gut im Video zum Spiel zu sehen resp. zu hören, und diese Stimmung sollte das ganze Spiel über anhalten.

Die Anfangsphase gehörte den Hausherren, die jedoch einige gute Chancen ungenutzt ließen. Mit zunehmender Dauer fand Legia Warschau in die Partie und trug erste gefällige Angriffe vor. Ein Standard brachte dann in der 37. Minute die sich andeutende Gästeführung, die gleichzeitig den Halbzeitstand darstellte. Im gemeinsamen Fanblock gab es keine erkennbare Reaktion auf den Treffer, außer dass die Gäste aus Warschau nun Pogon Stettin mit anfeuerten. Wenn man sich in der Halbzeit so umsah, rauchte es ums Stadion an mehreren Stellen, das waren aber nur die großen Grills, die in Hochbetrieb zu sein schienen. Zu Wiederbeginnn wechselte der Gastgeber zwei Mal und stärkte die Offensive, so dass sich ein ähnliches Bild wie in Durchgang eins ergab, auch auf den Rängen. Freundschaft wo man hinsah und -hörte, das galt für das Geschehen auf dem Rasen nicht immer.  Szczecin Nachdem die große Chance zum Ausgleich (55.) ungenutzt blieb und wenig später (64.) die Hauptstädter im Nachschuss auf 0:2 stellten (wieder kein Torjubel, sondern weiter Pogon & Legia-Gesänge), schwächte sich Pogon selbst, indem der eingewechselte Djousse aus aussichtsloser Situation dem Gästekeeper mit gestrecktem Bein das Standbein wegtrat und folgerichtig den roten Karton sah (66.). Ab da war die Messe gelesen, denn selbst die beiden hochkarätigen Einschussmöglichkeiten der dezimierten Stettiner wurden kläglich vergeben, sodass das 0:3 per Konter (83.) niemanden mehr verwunderte, geschweige denn wirklich interessierte. Ach ja, mittendrin gelangte ein Flitzer älteren Semesters aufs Spielfeld und hielt sich für sein Alter noch ganz ordentlich, bis er nicht mehr konnte und sich friedlich von Ordnern vom Feld geleiten ließ.

Interessant wurde es dann aber doch noch, denn eine Choreo über den ganzen Stimmungsblock wurde installiert. Dazu hisste man eine Blockfahne, auf der ein zähnefletschender Wolf mit Megaphon und Bengalo in der Hand zu sehen war. Szczecin Begleitet von einem Spruch, der ähnlich “Ruhig bleiben, der Wolf kommt nicht aus der Form” bedeutet. Die unter der Riesenfahne auftauchenden Bengalos nebst Rauch bestätigten dies eindrucksvoll.  Eine bekannte Fangruppe sind die Jungen Wölfe (Mlode Wilki), vielleicht hat es ja was mit denen zu tun. Die Drohne, die die ganze Zeit mal näher, mal weiter vor der Kurve schwebte, gehörte wohl völlig überraschend zu den Fans, die sich und ihre Choreographien so aufnehmen – und wir dachten, dass es ja ganz schön überwacht hier sei. Davon abgesehen war während der 90 Minuten keine Polizei zu sehen. Der Abpfiff geriet dann komplett zur Nebensache, selbst den Legia-Spielern, die noch vor ihre Fans traten, wurde so gut wie keine Aufmerksamkeit zuteil, der gesamte Block feierte sich selbst. Im Anschluss lief bei uns außer einem Absacker – na, wo wohl? – nicht mehr viel zusammen, bis in die Innenstadt schaffte es keiner mehr, der anstrengende Tag hatte seine Spuren hinterlassen.

Das Interessanteste an unserer Rückreise ist sicherlich, dass man ab Stettin, so man einen DB-Zug nimmt, das Wochenendticket lösen kann und somit kein Verbundticket oder irgendwas benötigt. Natürlich bleibt man aber auf Nahverkehrszüge beschränkt. Bevor es in Berlin wieder zur Trennung kam, wurden noch die für Fussballkultour.de anstehenden Aufgaben verteilt, denen, wie man sieht, alle nachgekommen sind. Und das Beste: Die nächsten Reisepläne sind schon in Arbeit!


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Stargard Szczecinski


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