Wolverhampton (ENG)

 

Pokalnachmittag in den West Midlands

 

Wolves-logo Wolverhampton Wanderers – Millwall FC Millwall-logo

08.01.2005, FA Cup 3. Runde, Molineux Stadium, Endstand 2:0

Während Deutschlands Fußball noch ruhig im Winterschlaf schlummert, steht die in England die dritte Pokalrunde auf dem Plan. Ich selbst habe schon seit November kein Spiel mehr gesehen, da passt es gut, dass der Bremer Besuch schließlich auch was geboten bekommen will. Leider geht bei uns in der Umgebung an diesem Wochenende nichts, da alle Merseyside Clubs auswärts unterwegs sind. Es verspricht also wieder ein Bahn–Samstag zu werden, mit Frühstück aus dem Kühlregal des Tesco und dem Wochenendsportteil des Liverpool Echo. Kurzfristig wird also der Nordwesten Englands auf infrage kommende Fußballspiele sondiert um schließlich bei einer engeren Auswahl von fünf Paarungen zu landen:

Man United – Exeter City
Preston North End – West Brom
Wolverhampton – Millwall
Birmingham City – Leeds United
Sheffield United – Aston Villa

Da die Entscheidung allerdings fällt, als es bereits Freitagabend ist, bekommt mein Geheimfavorit Wolves gegen Millwall den Zuschlag. Ein Blick auf den Fahrplan der Bahn und die Aussicht auf eine direkte Verbindung lässt dann den frühen 13.00 Uhr Kickoff auch nicht mehr als Nachteil erscheinen. Die folgenden Freitagabendbiere im Pub schmecken mit der Aussicht auf einen Fußballsamstag noch mal viel besser.

Wolverhampton Kurz vor Zehn rollt also unser Zug aus Liverpool Lime Street heraus nach Süden durch die beschauliche Landschaft von Cheshire und Staffordshire in die Industrieregion der West Midlands. Wolverhampton ist etwa so groß wie Braunschweig und steht immer im Schatten des gleich an der Bahnstrecke folgenden Birmingham. Es ist die Sorte Stadt, von der man wohl noch nie gehört hätte, gäbe es nicht ihren Fußballclub. Da wir keine Ahnung haben, wie es nun weiter zum Stadion gehen soll, kommt es ganz gelegen, dass ein Stadtplan dieses als in bequemer Fußwegreichweite ausweist. Draußen vor der Bahnhofstür steht die Polizei dann schon Spalier für den erwarteten Zug aus London.

Millwall müssen mal wieder eins der Early-Kickoff-Matches hinnehmen, die bei Spielen, zu denen ‘Prominents’ erwartet werden dazu dienen, zwei Stunden weniger Zeit zum Alkoholkonsum zu lassen.

Wir spazieren also durch die ganz beschauliche Innenstadt Wolverhamptons und bringen so noch etwas Zeit rum. Es ist ein bisschen, wie wenn man mit dem Wochenendticket eine Dreiviertelstunde Aufenthalt in sagen wir mal Osnabrück hat. Man wandert irgendwie unambitioniert herum, guckt hier und da und lässt flüchtig den Blick kreisen, aber irgendwie will man doch nur weiter. Wir wollen weiter zum Stadion und das ist sehr einfach zu finden, vor allem weil man mittlerweile nur noch den Leuten hinterher gehen muss, die irgendwas Orangegelbes an sich tragen.

Die Stadt erscheint deutlich sauberer als Liverpool und die Leute tragen auffallend weniger Trainingsanzüge. Es fällt ein etwa zwanzigköpfiges Grüppchen Jungs auf, von denen jeder irgendein Kleidungsstück mit Burberry – Muster trägt. Basecap, Schal, Jacke oder Pulli. Die Guten machen stattlich auf Gang. Zehn Minuten darauf rücken sie wieder ins Bild, als sie alle adrett aufgereiht vor einer Mauer für das Polizeivideo posieren müssen. Jeder der Jungs darf zunächst seinen Ausweis und dann sein Gesicht in die Kamera halten. So spart man sich bei der Polizei den lästigen Schreibkram.

Wolverhampton Die Tickets sind schnell gekauft – 12 Pfund wirken wie ein Schnäppchen. Der Bauch der Tribüne bietet erst einmal Schutz vor dem kalten Wind. Das Molineux ist ein relativ neuer Umbau auf dem Gelände des alten Stadions. Es wirkt ganz stimmig, hat allerdings ein bisschen zu dick die Vereinsfarben Gold, Gelb, Hellorange – man scheint hier unentschlossen – aufgetragen. Schade ist auch, dass die Lücken in den Ecken offen sind. Mit 29600 scheint die Größe für die Stadt zu passen. In der letzten Premiership Saison war das Stadion jedoch oft zu klein und auch in der Zweiten Liga haben Wolves einen 26000er Schnitt. Heute sind viel weniger da. Frühe Pokalrunde und dann ist mit Millwall nicht gerade ein Starensemble zu Gast sondern einen Mitstreiter des „Doc Martens Championships“, wie die Zweite Liga passenderweise auch noch heißt. Viele scheinen sich an diesem Samstag eine Pause zu gönnen und man kann es keinem Verdenken, an diesem kalten Tag den warmen Pub vorzuziehen.

Wir sitzen hinter einem der Tore inmitten eines eher zurückhaltenden Teils der Heimfans. Gegenüber, hinter dem anderen Tor, ist das Singing-End, das allerdings zu viele freie Sitze aufweist, um seine volle Lautstärke zu entfalten.

Zu unserer Linken ist eine dreigeteilte Tribüne. Oben Heimpublikum, darunter eine Reihe Logen, wiederum darunter der sehr lang gezogene Gästeblock. Hier haben sich letztendlich doch etwa 1500 Millwall Anhänger eingefunden. Man kann auch auf die Distanz erahnen, warum man vorher keinen von ihnen gesehen zu haben glaubt – keiner dort trägt ein Trikot o.ä. Devotionalien.

Wolverhampton Millwall, so scheint es, singen die Stimmbänder warm, bevor sie loslegen. Wie vor einer Chorprobe dringen zunächst nur lang gezogene Vokale herüber. Von Wolverhampton kommen eher halbherzig die üblichen Gesänge an. Da man sich aber als Auswärtsclub auch nicht die Blöße geben will, machen dann die Londoner ernst und bringen ein „MILLWALL, MILLWALL, MILLWALL …“ dreimal die Tonleiter hoch und dann wieder runter, hoch usw. Es dauert nicht lange und wir bekommen auch das ‚NO ONE LIKES US WE DON T CARE’ geboten, das in Europa vielleicht bekannter ist, als der Club selbst.
Na also. Das hat man mal erlebt. Leider wird der Gesang schnell überlärmt. In solchen Situationen ist dann oft der Neid da. Wenn ein Club es schafft, einen Gesang sein Eigen zu nennen gibt es meistens wenig Respekt dafür. Vor allem Fanlager, die selber nichts eigenständiges zustande bringen sind dann schnell mit dem Kaputtmachen beschäftigt. Ging mir letztes Jahr in Preston schon so, als Stoke zu ihrem „Delilah“ ansetzten und dieses mit richtig Dampf kam. Aber auch dieses Lied wurde einfach kaputtgelärmt.

Wolverhampton ist nach nach 13 Minuten schon 2:0 vorn und das Publikum hat gut lachen. Genauso schnell wie die Tore fallen, ist auch die Geschichte des Spiels erzählt. Wolves mit Joleon Lescott und dem alt gewordenen Paul Ince machen die ersten beiden Dinger rein und danach passiert fast gar nichts mehr. Nach der Pause ist pure Langeweile angesagt. Auch die Stimmung ist mit der Kälte schnell eingefroren. Immerhin geben Millwall`s Fans noch den Ansatz einer Schlussphase. Die Mannschaft bleibt diese schuldig. Schließlich wandern die ersten Londoner die Treppen in Richtung Ausgang hinauf. Bald darauf kommt auch ein bisschen Bewegung in die Tribüne, als links von uns vermehrt aufgestanden wird, um einen Blick auf den Stadionvorplatz zu werfen, wo Polizisten ein paar Leute durch die Büsche scheuchen.

Keiner klagt, als dann schließlich Schluss ist. Auch der Applaus für die Wanderers hält sich in Grenzen. Wir machen uns auf den Weg zum Bahnhof. Als Entschädigung für das miese Spiel bekommen wir von den lokalen Rabauken noch ein bisschen Unterhaltung geboten und werden Zeugen von lange nicht mehr gesehenen Sprint–Manövern in den Straßen Wolverhamptons.

Wolverhampton Draußen ist zunächst ein mächtiges Polizeiaufgebot damit beschäftigt, den Millwall Mob zu formieren und abzuschirmen. Das gelingt ganz gut und so walzt die von einem neogelben Rechteck umgebene Masse den Hügel hinauf, isoliert von den nach Hause gehenden Heimfans. Auch wir gehen in die andere Richtung zurück. Hier und da Aufregung und Anspannung, immer Vorstöße und Sticheleien. Es ist ein ungeordnetes Hin und Her-Gerenne von Wolves-Anhängern und Polizei. Abwarten, gucken, zögerlich vor, dann schnell zurück, usw.

Nach dem kurzen Weg durch die innerstädtischen Gassen wird es in Bahnhofsnähe wieder hektisch. Überall sind jetzt größere Gruppen zu sehen, die versuchen irgendwie an den Millwall Mob heranzukommen, aber immer wieder von der Polizei zum Laufen gebracht werden. Vor der Brücke zum Bahnhof nimmt die Sache dann Form an, hier sind gut hundert Wolves-Prominente in Bewegung. Als sie schließlich merken, dass an Millwall kein rankommen ist, fliegt ein bisschen Straßenmobiliar durch die Gegend. Hier scheint nun klar, dass nichts geht und so muss die Polizei herhalten.

Genug der Schaulust für uns, wir nutzen die Lücke, die die Polizei vor dem Bahnhof aufgetan hat. Wir gehen rein und in das Café. Dort versorgen wir uns gerade mit Proviant, als eine Verkäuferin von Innen verriegelt und die Kunden um etwas Geduld bittet. Kurz darauf spazieren die Millwall Fans an den Scheiben vorbei in den Bahnhof.

Nachdem wir unsere Rückreise klargemacht haben, bekommen wir noch die Einfahrt des „Football Specials“ nach London zu sehen und Millwall bieten ein anderes Bild als der Wolves Nachwuchs, der in der Stadt noch ‘Räuber und Gendarm’ spielt. Das sind weitestgehend gestandene Männer, die sich ganz gesittet zu benehmen wissen.

Unsere Rückfahrt erweist sich als sehr umständlich, da wir ab Crewe in den Bus umsteigen müssen. Der schleicht förmlich durch die Landschaft, so dass es ein ganz schön langer Ausflug wird. Immerhin stellt der Fahrer die Schlussphase des Man United – Matches an und wir hören, dass der Fünftligist Exeter für sein Spiel des Jahrhunderts tatsächlich 10.000 Fans nach Trafford mitgebracht hat, die durch ein 0:0 und somit einem Rückspiel belohnt werden – bemerkenswert.

Endlich wieder in Liverpool gehen wir noch einen Pub an und Millwall bleibt das Thema. Montags bei der Arbeit berichte ich meiner Platznachbarin Louise von meinem Wochenendausflug. Mit Lou teile ich eine Grundhaltung in Sachen Fußball, da ihr Club „Stoke City“ und meine Eintracht sehr viel gemeinsam haben. Sie ist hier so was wie meine Fußballvertraute. Dennoch überrascht sie mein Besuch dieses Spieles. Und ihre erste Frage ist nicht wie es war, sondern „Was there a lot of fighting?“.

Nicht ganz, aber unterhaltsam war das Gerenne ja schon mal wieder. Inmitten einer Entwicklung wo Fußball in immer konsumierbaren Häppchen serviert wird, wo in Logen die Fans als Kulisse leiser- oder ausgestellt werden können und man mehr um Einnahmen spielt als um Titel, ist es durchaus erfrischend, mal wieder ein paar Jungs zu sehen, denen all das egal ist und die das simple Gebot „Wir gegen die Anderen“ leben. Hier wird sich eben noch ein bisschen ausgetobt – egal ob man in den Reihen der Catering Cliquen mit dem Zeigefinger mahnt. Hier in Wolverhampton war einfach mal wieder zu sehen wo Fußball herkommt und das möchte ich nicht vergessen. fg