Thun & Aarau (SUI)
Un petit “Tour de Suisse”
FC Thun – Partizan Belgrad
29.08.2013, Europa League Playoffs, Arena Thun, Endstand: 3:0
FC Gränichen – FC Bern
30.08.2013, 2. Liga Interregional, Gruppe 3, Sportanlage ZehnderMatte, Endstand: 3:3
FC Aarau – FC Sion
31.08.2013, Super League, Stadion Brügglifeld, Endstand: 0:1
Tag 1
Grüezi und Hallo
Eigentlich krass, so eine kurze Reisezeit von 7,5 Stunden bis in die tiefste Schweiz. Und dort geriet ich zur Ankunft gleich in eine Cola-Promoaktion, was zwei gekühlte Dosen einbrachte, bei strahlendem Spätsommerwetter auf jeden Fall willkommen. Allerdings merkte ich hier schon, dass ich mir die Verständigung etwas zu leicht vorgestellt hatte. Man verstand mich hier super, aber andersrum hatte ich erstmal keine Chance, wenn die einheimische Person sich nicht bemühte, kein “Schwiezerdühtsch” zu sprechen. Später gewöhnte ich mich einigermaßen an die Sprache.
Bis zum Zunfthaus Zu Metzgern war es nicht weit. Dort, mitten in der schönen Altstadt, bezog ich mein Zimmer, was mit 59,- CHF ohne Frühstück definitiv zu den günstigsten in Thun gehört. Dafür muss man das Frühstück selbst finden, im näheren Umkreis gibt es Möglichkeiten, aber wegen der ohnehin höheren Preise als in Deutschland lohnt sich ein Abgleich definitiv. Mit Metzgern hat die Betreiberin Frau Leuenberger nicht so viel am Hut wie der Name andeutet, es gibt viel Selbstgemachtes und vornehmlich Bio-Erzeugnisse – auch Fleisch.
Anschließend wollte ich eine Schifffahrt über den Thuner See bis Spiez und zurück machen, was aber an meiner Urlaubstrantütigkeit und der Abfahrzeit von 15.40 Uhr scheiterte. Genau dann kam ich nämlich am Anleger an, um dem Ausflugsdampfer nur noch nachzuwinken. In einer Jetzt-erst-recht-Stimmung nahm ich den Fußweg Richtung Spiez entlang der Uferstraße in Angriff. Dieser führte mich über das Schloss Schadau einigermaßen am Seeufer entlang, allerdings schaffte ich nur knapp die Hälfte des Weges, dann gab ich mit qualmenden Socken auf und ging zurück Richtung Bahnhof.
Auf der Südseite desselben ist das Restaurant Alpenblick gelegen, ideal für ein Päuschen im Terrassengarten in vorabendlicher Sonne. Speisen kommen hier zumindest in der Sommersaison ab 18.30 Uhr vom Grill, der Chef brät noch selbst. Super Idee wie ich finde.
Hier hatte ich die Gelegenheit, das Verkehrsgebahren der Thuner eingehend zu betrachten, Stichwort: Hauptstraße. Der Radverkehr findet in der Schweiz auf der Straße statt, was offensichtlich zu deutlich mehr Rücksichtnahme aufeinander und Aufmerksamkeit untereinander führt. Allgemein wird hier viel mehr kommuniziert. Wer über einen Zebrastreifen gelassen wird, bedankt sich in 99% der Fälle per Handzeichen. Ebenso Radfahrer, die Vorfahrt gewährt bekommen. Sieht ein Autofahrer, dass jemand auf der Gegenspur anhält um Fußgänger rüberzulassen, hält er zu 90% ebenfalls an. Insgesamt scheint man hier nicht so halsstarrig auf sein Verkehrsrecht zu pochen und ist zu Entgegenkommen bereit.
Interessant, aber ich schweife ab. Vom Alpenblick aus sind es ca. 20-30 Minuten Gehweg bis zur neuen Arena Thun, man könnte aber auch die um die Ecke abfahrende Linie 3 Richtung Allmendingen nehmen, die hält direkt vor der Arena.
Die Arena Thun
Im Vorfeld mischten sich die Fans beider Vereine rund ums optisch nicht sonderlich ansehnliche „Stadion“, an ein- oder anderer Stelle kam man ins Gespräch. Neben den Schlachtenbummlern aus Serbien konnte Partizan auch auf die Unterstützung von Fans mit serbischen Wurzeln aus der Schweiz und den umliegenden Ländern bauen. Da hörte man neben der Muttersprache auch Deutsch, Italienisch, Französisch. Die Polizei hielt sich sehr im Hintergrund. Ausschank gab es von Carlsberg, allerdings war die „FC Thun Wurst“ ein Hammer. Eine Art Schinkenbratwurst mit Kräutern und Käse in ein längliches, festeres Weißbrot gelegt – grandios lecker. Sonst stand noch Kalbsbratwurst, Steaksandwich und Bierbrezel auf dem Speiseplan.
Ich weiß ja nicht, ob das ein Arena- oder ein All-Seater-Problem ist, aber wenn zu den Mannschaftsaufstellungen die Ränge nur zu einem Sechstel gefüllt sind, läuft doch irgendwas nicht richtig. Lahmer geht es doch kaum. Immerhin waren zum Einlauf dann mehrere Leute da, bis zur heutigen Höchstmarke von knapp unter 8.200 fehlte beim Anpfiff nicht mehr so viel. Die Fans beider Mannschaften legten dann auch los, wohingegen die Thuner eher so dem Schweizer Standard „Hopp Thun“ anhingen (von der Wirkung vergleichbar mit dem Braunschweiger “Eintracht”), der Rest kam schon sehr ultramäßig daher und riss das restliche Publikum außerhalb des rot-weißen Block Süd nicht wirklich mit. Die schwarz-weißen Belgrader supporteten da geschlossener, wobei auffiel, dass immer wieder auch Serbien in den Gesängen vorkam. Die von mir erhoffte Choreographie gab es zunächst nicht.
Das Spiel
Nach ein paar Minuten nahm die Partie auch spielerisch Fahrt auf, und recht zeitig zeichnete sich schon eine Überlegenheit der Gastgeber ab, die sich in ersten größeren Möglichkeiten darstellte. Bereits nach einer Viertelstunde hatten die Hausherren durch eine Co-Produktion der Schneuwly-Brüder Marco und Christian den Rückstand aus dem Hinspiel durch das 1:0 egalisiert. Ungewohnt klingt es übrigens, wenn nach dem Torjubel der Stadionsprecher nach Verkündung des Schützen den Fans ein “Merci!” statt “Danke!”entgegenruft und diese es mit “Bitte!” beantworten…
Eine Antwort der eigenen Art gaben einige Partizan-Fans, die sich klammheimlich in einem Block nahe der Stimmungsgeraden ausgebreitet hatten und kurz nach dem Treffer erneut Pyro zündeten – dann aber anfingen, das Zeug wild herum zu schmeißen – auch auf die eigenen Leute, was wohl in Rivalitäten zwischen verschiedenen Partizan-Fangruppen begründet liegt. Es war auch von einer Provokation aus dem Thuner Block betreffs Kosovo die Rede, hauptsächlich scheinen aber interne Machtkämpfe eine Rolle zu spielen. Jedenfalls wurde in dem unübersichtlichen Scharmützel quasi nebenbei ein Banner der Thun-Fans vom Zaun gerissen und in den Gästeblock verbracht, wo es dann als Trophäe verkehrt herum aufgehängt wurde. Unser Video zeigt da einiges. Nach einer kurzen Spielunterbrechung kehrte wieder Ruhe ein und es ging sportlich weiter. Thuner Beifall brandete auf, als ein Großaufgebot der Kantonspolizei das knapp 45 Mann starke Grüppchen einkesselte.
Der FC Thun spielte überraschend stark weiter, verteidigte gut und laufstark. Dementsprechend kam Partizan Belgrad erst in der 41. Minute zur ersten Großchance, aber die knappe Führung hatte bis zur Pause bestand. Und hätten die Hausherren nicht so viele Chancen versiebt, hätten sie schon nach 45 Minuten eine Vorentscheidung herbeigeführt haben können. Während der Halbzeitunterhaltung machte die Polizei dann Ernst und nahm die Eingekesselten einen nach dem anderen fest, unter hämischen Sprechchören der Rot-Weißen.
Danach konnten sich alle wieder auf Fußball konzentrieren und prompt dauerte es nur drei Minuten nach Wiederbeginn, bis Thun die Tür zur EL-Gruppenphase mit dem 2:0 ein Stück weiter aufstieß. Diesmal setzte sich Marco Schneuwly gekonnt durch. Partizan hatte nicht viel zuzusetzen, wechselte Offensivkräfte ein und hatte auch prompt eine Großchance durch Malbasic, doch war es Thuns Luca Zuffi, der im Gegenzug mit einem schönen Distanzhammer zum 3:0 den Deckel draufmachte. Nach Spielende feierten beide Fanlager ihre Teams, die ganz eiligen Zuschauer waren natürlich schon ab der 80. Minute gegangen.
Unter der Arena muss es eine riesige Parkgarage geben, denn dorthin strömten die meisten Besucher nach Abpfiff. Einige quetschten sich in die Busse Richtung Bahnhof Thun, und nur etwa drei Handvoll gingen zu Fuß. Die Altstadt im Dunkel hat schon ihren Reiz. Die Bars sind gut gefüllt, und die Obere Hauptgasse mit ihren Lädchen auf zwei Etagen kommt besonders zur Geltung. Im Zunfthaus bekam ich noch ein Feldschlösschen (zumindest die Braunschweiger werden den Namen kennen, ist aber nicht dasselbe) als Absacker, das ist nach so einem langen und warmen Tag im kühlen Biergarten vor Altstadtkulisse schon was Feines.
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Tag 2
Cherchez le Frühstück
Neben einigen Lebensmittelgeschäften wie Migros und Coop fand ich quasi um die Ecke des Hotels direkt an der Aare ein Café mit sehr zutraulichen Spatzen, so musste ich nicht allein sitzen. Der Tag versprach wieder herrlich zu werden. Zwar stand kein explizites Frühstück auf der Karte, aber ein Milchkaffee und ein Sandwich taten es auch. Das Brot war herrlich rustikal und mindestens zweifingerbreit geschnitten, eine mächtige Scheibe Käse mit etwas Mayonnaise und etwas Rindersalami sowie Gurke bildeten den Belag. Scheinbar wird in der Schweiz wenig Schweinefleisch verarbeitet, immer wieder wird auf die Verwendung von Rindprodukten hingewiesen.
Im Anschluss spazierte ich durch die Altstadt, hinauf auf den Schlossberg mit fantastischer Aussicht, und wieder hinunter durch alte, schmale Gassen und Straßen. Der Stadtplan aus der Tourist-Info sparte dann auch gleich das übrige Stadtgebiet aus, die Botschaft kam an: Kann man sich schenken. Dann war es an der Zeit für einen Ortswechsel. Per Sparbillett, das ich rechtzeitig online bei der Schweizer Bahn erstand, ging es über Bern nach Aarau. Wer online bucht, verlasse sich nicht auf die Anzeige der Verbindungen, dort wird immer der Normalpreis angezeigt. Es gibt aber einen Reiter für Sparpreise, den man klicken kann, so gelangt man zu den verfügbaren Angeboten. Über eine Bahnfahrt in der Schweiz lässt sich zusammenfassend sagen: Viel Wald, viel Graffitti, ordentlich Tunnel und immer wieder Mais. Und gelegentlich eine Alpen-Fototapete auf dem Lokus. Die Schweiz soll übrigens das dichteste Bahnnetz weltweit betreiben.
Erst Aarau, dann Gränichen
Für Aarau hatte ich zum ersten Mal Bed&Breakfast gebucht, weil sich beim besten Willen kein Hotel o.ä. für unter 100,- CHF finden ließ, dagegen liest sich 56,- Franken inklusive Frühstück doch viel besser. So führten die ersten Schritte also zum Ahornweg, knapp 10 Minuten vom Bahnhof entfernt, und gerade mal 5 Minuten vom Stadion Brügglifeld. Der Empfang durch Frau Senn war schon sehr nett, und bei der Absprache des Rahmens den Aufenthalt betreffend zeigte sie eine große Flexibilität und Hilfsbereitschaft. Ein Faltplan der Stadt lag bereit, ebenso eine Flasche Wasser zur Erfrischung. Das Zimmer mit Bad direkt daneben ist zwar nicht separiert vom eigentlichen Wohnbereich, aber überschneidet sich auch nicht wirklich. So konnte ich erst mal ein wenig ausruhen, bevor die S-Bahn vom Bahnhof nach Gränichen abfuhr. Ein Tagesticket für den Nahbereich Aarau hatte ich bereits bei meiner Ankunft erstanden, das kostet genau so viel wie ein Hin- und ein Rückfahrticket, sodass sich die dritte Fahrt bereits rechnet.
Gränichen ist ein kleines Dorf, mit Apotheke, Antikläden, einer Kirche mit Friedhof, usw. Wenn man böse wäre, könnte man behaupten, dass es nur zur Hälfte aus Dorf und zur anderen Hälfte aus der Firma besteht, welche international in Heizungen macht und sowohl den Dorffußball hier sponsort als auch das Trikot des FC Aarau ziert. Die Sportanlage ist zumindest eines Aufsteigers in die höchste Schweizer Amateurklasse, die 2.Liga Interregional, angemessen, obwohl ein kleines Tribünchen auch nett wäre. Heute sollte auf Kunstrasen gespielt werden, was bei den ebenfalls gerade eingetroffenen Gästespielern für beinahe ehrfürchtige Platzerkundung sorgte.
Es gibt ein Gebäude, in dem Gaststätte/“Fanshop“ und Funktionsräume untergebracht sind – zu den Toiletten muss man an den Spielerkabinen vorbei. Das nenne ich Fannähe. Auch im Grillwagen wurde wieder Kalbsbratwurst angeboten, dazu Currywurst und Pommes. Feldschlösschen scheint eine große Marke in der Schweiz zu sein, auch hier wird es verkauft. Allmählich füllte es sich mit Zuschauern, 270 wurden insgesamt gezählt, und ich war einer davon. Die Atmosphäre knisterte beim Einlauf der Mannschaften, einige Störenfriede durchbrachen die Stille mit Husten oder Gesprächen. Irgendwann klatschten auch welche, das konnte ja was werden. Okay, genug der Ironie, der Verein kann ja nichts für seine Fans.
Torflut
Das Spieltempo war von Anfang an sehr hoch, es ging hin und her. Das lag aber eher daran, dass es viele Ballverluste gab und entsprechend nachgesetzt werden musste. Stellenweise war es fußballerisch ganz schön mager, dafür kämpferisch. Der Klang, wenn ein Kopf ungebremst auf den Rasen aufschlägt, ist einfach eklig. Dennoch gelangen auch immer wieder schöne Spielzüge, die dem Publikum außer Aufstöhnen auch Lobesbekundungen entlockten. Der FC Gränichen erwies sich als effektiver und konnte in der 31. Minute einen Abklatscher zur Führung verwerten. FCG-Keeper Buchser bewahrte sein Team dann in der 44. vor dem Ausgleich, als ein Berner allein vor ihm auftauchte.
Zur Halbzeit gegen 21 Uhr war es schon ganz schön dunkel und frisch geworden, das Flutlicht mutete etwas schwach auf der Brust an. Meine Kamera machte viel Mist im Automatikmodus. Anders ging es auf dem Grün zu. Nach einem Freistoß schraubte die Heimmannschaft das Ergebnis per Kopf auf 2:0 hoch (50.), der FC Bern war in Schwierigkeiten. Zumal auch die größte Chance in Minute 64 am leeren Tor vorbei vergeben wurde. Folgerichtig wurde ein schöner Angriff der Gränicher zum 3:0 abgeschlossen, das Ding schien gelaufen.
Doch dann kam die 75. Spielminute. Einer der auffälligeren Gränicher blieb mit einem Krampf liegen, Auswechslungen wurden nötig. Damit ging leider viel Qualität verloren, nur wenig später fiel das 3:1. Offensiv traten die Gelb-Schwarzen nun kaum noch in Erscheinung, die Kraft fehlte offensichtlich. So witterten die Gäste zurecht Morgenluft und wurden mit dem 3:2 nach einem schlecht geklärten Freistoß nur wenige Minuten vor Schluss belohnt. Hier kam schon der Berner Keeper mit nach vorne, so auch zu dem entscheidenden Eckstoß in der Nachspielzeit (95.). Die kurze und flache Hereingabe erwischte er im Reinlaufen perfekt und nagelte quasi mit dem Schlusspfiff das Leder zum vielumjubelten 3:3 in die Maschen. Nachzuschauen in unserem Video. Nicht so sportlich verhielten sich danach einige Gästespieler, die ihre Genugtuung noch auf dem Platz und später auch im Spielertrakt unangemessen kundtaten.
Mit der S-Bahn ging es nach diesem Krimi wieder zurück in die Stadt und der Abend endete mit weiteren Toren, nämlich dem Elfmeterschießen im Supercup, welches der FC Bayern gewann. Dabei ließ ich mir noch einen kühlen Nachttrunk schmecken, den mir Frau Senn bereitgestellt hatte. Einfach hervorragend, ich war da schon B&B-Fan. Unterkünfte sind übrigens unter aarauinfo.ch zu finden.
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Tag 3
Am Anfang eines Tages…
…wartet ein großes Frühstück auf Sie. Kein Weinbrand, aber wer braucht den schon? Es gab u.a. Obst, Nüsse, einen guten Schweizer Käse, Joghurt, Ei mit Schinken und ein Stück Pfirsich-Tarte. Sogar eine Tafel Schweizer Schokolade bekam ich vom Einkaufen mitgebracht. Genug Energie für einen Vormittag in Aaraus Altstadt. Vorher quatschten wir aber noch ein wenig, so erfuhr ich vom Schweizer Volkssport, dem Schwingen. Noch nie gehört? Ging mir auch so. Scheint aber eine Abwandlung aus Ringen und Sumo zu sein, jedenfalls muss man seinen Gegner innerhalb traditioneller Regeln auf den Rücken legen. Ein Riesenspektakel vor einer halben Million Menschen, an diesem Wochenende beim Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest. Ebenfalls bekam ich den Rat, in der Altstadt nach oben zu schauen. Denn die eigentlich ungeliebten Berner Eroberer aus dem Mittelalter verewigten sich durch die typischen, schön bemalten Dachkonstruktionen, die auch in Aarau ihre Bewunderer fanden. Meine Klamotten durfte ich noch dalassen und über den Tag gerne nochmal reinschauen.
Aber zunächst das Kulturprogramm. Die Tore zur Altstadt, eine landesweit geschätzte Kunstgalerie, Stadtkirche, Rathaus, Fußgängerzone mit fließendem Wasserlauf, kunstvoll bemalte Dächer, das Aare-Ufer, wo man schön die Sonne genießen kann, das Stadtschloss, leider fast komplett eingerüstet wegen Restauration, ein vielfältiger, langgezogener Markt und vieles mehr. Was ich vergeblich suchte, war eine Sky-Kneipe zum Bundesliga schauen. Als ich in einem Kiosk fragte, lernte ich Alfred kennen, mit leichter Fahne und geilem Old-School-Grabkreuz-Tattoo auf dem Unterarm. Alfred lud mich also für den Abend zum Sportschau gucken zu sich ein, was ich leider nicht annehmen konnte, denn ich war ja mit dem FC Aarau verabredet. Später, als ich die Suche nach Bezahlfernsehen aufgegeben hatte, traf ich Alfred in der Café-Kneipe wieder, wo ich auf eine dringend benötigte Erfrischung einkehrte. Er saß drinnen im düsteren Schankraum und seine Fahne war nun stattlicher. Gerade als unser Gespräch richtig warm wurde, kam sein Taxi und er musste gehen. Kurz darauf ich auch. Eintracht lag schon 2:0 in Hamburg zurück, und das heute zu besuchende Spiel rückte näher. Wie mir Frau Senn steckte, würde heute die Meistermannschaft von 1993 plus Ottmar Hitzfeld anwesend sein, um im Vorfeld das 20jährige Titeljubiläum zu begehen, da wollte ich dabei sein.
Das Schicksal schlägt zu
Es waren vielleicht noch 150 Meter zum Ahornweg zu gehen, da fiel mein Blick auf ein rechteckiges Stück Pappe auf der Straße. Mein Instinkt erwies sich als richtig, es war ein Ticket. Für das Spiel nachher. Leider hatte ich schon eins. Trotzdem steckte ich es ein, man weiß ja nie – kostet immerhin knapp 30 Franken. Im Ahornweg angekommen, sah ich eine Menge Leute im Garten sitzen, bei Kaffee und Sekt. Familie und Freunde, unter anderem Sohn Christian und dessen bester Freund Beat mit Sohn Samuel, letztere beide aus Südtirol angereist. Wollten alle drei zum Spiel. Beat hatte aber alle drei Tickets verloren. Dementsprechend groß wurden natürlich die Augen, als ich mein gefundenes Ticket vorholte, die seltsamen Wege des Schicksals wurden ausführlich beschrieben („Ich aus Südtirol, du aus Braunschweig, bringst mir dieses Ticket“) und gepriesen („Das ist ja ein Wahnsinn“), und prompt brauchte ich mir um die Bierverkostung während des Spiels keine Sorgen mehr zu machen. Um es kurz vorweg zu nehmen: Es wurde ein sehr netter und feucht-fröhlicher Fußballvorabend.
Zuerst mussten ja noch zwei Tickets nachgekauft werden, dann traf Beat noch Bekannte, die den Vorderteil eines Autos zu einem mobilen Grill umgebaut hatten und kaufte Bier – natürlich Feldschlösschen. Souverän spazierte er mit der Dose zum Einlass, wir hinterher. Karte entwertet, drin. Dann doch noch ein dezenter Hinweis, die Dose dürfe nicht mit zum Platz genommen werden. Es stünden aber Plastikbecher bereit, in die das Getränk umzufüllen wäre. Ich muss gestehen, ich war verblüfft. Und hatte zum ersten Mal ein Bier mit ins Stadion genommen.
Das Stadion Brügglifeld
Christian wusste zu berichten, dass das Brügglifeld mit knapp über 9.200 Plätzen zu einem der kleinsten Erstligastadien zählen dürfte, ein Neubau an anderer Stelle aber bereits begonnen sei. Mal wieder schade, denn das Rund hat wirklich Charakter, und wenn über der Tribüne die Sonne untergeht, gibt es die gerühmte Brügglifeld-Atmosphäre. Der FC Sion hatte nur relativ wenige Fans mitgebracht, und ich erfuhr, dass dort ein Mann entscheide, der zwar mit viel Geld aber wenig Fußballverstand gesegnet sei, so hätten die Zeitungen bereits von seiner Ansage eines Schicksalsspiels für den Trainer heute geschrieben. Dafür hätten die Gäste mit dem lettischen Nationaltorwart Andris Vanins wohl den besten Goalie der Liga. Überhaupt fiel auf, dass in der Schweiz viele englische Begriffe verwendet werden. So ist ein Spiel ein Match, der Punktestand der Score, Elfmeter heißt Penalty, usw. Sonstige Auffälligkeiten waren die Fleischspieße mit aufgepiektem Brötchen als Catering und die Plastik-3-Mann-Pissoirs – siehe Galerie unten.
Das Spiel begann gut für Aarau, bereits in der 9. Minute hatten die meisten der 4250 Zuschauer schon den Torschrei auf den Lippen, doch ein Sioner klärte auf der Linie per Kopf. Dann das Tor des Tages nach einer Ecke für die Gäste. Leo kam völlig frei zum Kopfball – drin. Das spielte dem defensiv starken FC Sion natürlich in die Karten, und bis zur Pause passierte kaum mehr was. In Hamburg war indes Schluss und der BTSV blieb nach dem 0:4 weiter ohne Punkt. Im zweiten Durchgang hatte der engagierte FC Aarau noch gute bis sehr gute Chancen, so traf Staubli das leere Tor nicht, Hallenius scheiterte im 1:1 gegen Vanins und in der Nachspielzeit klärte wieder ein Sioner auf der Linie. Sion zeigte offensiv nur noch wenig, einzig zwei Distanzschüsse brachten noch einen Hauch von Gefahr, ansonsten war man es zufrieden, das Ergebnis über die Zeit zu schaukeln – zusammen genommen wäre ein Remis gerecht gewesen, aber dazu muss man seine Chancen auch nutzen.
Die Arbeit ist getan
Nach Spielende schauten wir nochmal bei Frau Senn rein, wo ich meinen Rucksack noch holen musste. Prompt bekam ich noch einen Beutel frisch gepflückter Pflaumen für die Reise mit. Herzlich verabschiedet machten wir uns wieder auf den Weg in die Innenstadt, denn dort wohnte Christian, und mein Zug wartete ja auch nicht, ab Basel stand ja noch eine letzte Premiere an: Nachtzug. Als wir an der Stelle vorbeikamen, wo ich die Karte fand, suchten wir noch die Umgebung ab, und siehe da: 10 Meter weiter lag tatsächlich das Kuvert mit den anderen beiden Tickets drin, das sorgte natürlich nochmal für Aufregung. Letztlich musste auch hier eine warme Verabschiedung erfolgen, natürlich nicht ohne diese verrückten Umstände nochmal zu thematisieren. Wie stand es doch so treffend auf dem Ticket-Umschlag: “Your tickets for unforgettable moments…”. Dem ist absolut nichts hinzuzufügen.
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