- IK Sirius – Dalkurd FF
Ein kurdischer Erstligist im schwedischen Hinterland
IK Sirius – Dalkurd FF
17.08.2018, Allsvenskan 18. Spieltag,
Studenternas Idrottsplats, Uppsala, Endstand: 2:3
‘Sirius gegen Dalkurd’: Rein vom Klang her würde man nicht zwangsläufig darauf kommen, dass es diesmal nach Schweden ging, genauer gesagt nach Uppsala. Anlass für den Abstecher in die Stadt war weniger der ortsansässige Club IK Sirius als vielmehr das Gastspiel von Dalkurd FF und dessen ganz spezielle Geschichte.
Dalkurd FF
Dalkurd FF machte in der vergangenen Spielzeit von sich Reden, als dem 2004 gegründeten Club erstmalig der Aufstieg in die höchste schwedische Spielklasse, die Allsvenskan gelang. Zunächst ist dies nichts Besonderes. Blickt man auf Dalkurds Entstehungsgeschichte und betrachtet die Identität des Clubs näher, ist der Club und dieser Erfolg aber durchaus bemerkenswert.
Dalkurd ist beheimatet in der Industriestadt Borlänge, der größten Stadt der mittelschwedischen Provinz Dalarnas Iän. Der Club wurde 2004 von kurdischstämmigen Einwanderern gegründet, zunächst ohne professionelle Ambitionen und mit der Zielsetzung, den Jugendlichen in Borlänge Lebensinhalt, Perspektive und Aufmerksamkeit zu bieten. Aus dem Namen der Provinz wurde das ‘DAL’ entliehen. Ergänzt wurde ‘KURD’, das schwedische Wort für ‘kurdisch’. So war der ‘Dalkurd Fotbollförening’ aus der Taufe gehoben. Das Wappen basiert auf der Flagge des kurdischen Volkes ergänzt um die für die Region typischen Dalapferde.
Im Gegensatz zu anderen Fußballclubs kurdischer Prägung in Europa hat Dalkurd durch seine Aufstiege in die zweitklassige Superettan 2016 und schließlich die Allsvenskan 2018 eine große Bekanntheit und Popularität bei kurdischstämmigen Bevölkerungsteilen vieler Länder erlangt. Zwar kommt die Heimatstadt Borlänge gerade auf 42.000 Einwohner und auch der Zuschauerschnitt bei den Heimspielen Dalkurds wird von Soccerway mit nur 874 als der geringste der Allsvenskan ausgewiesen. Doch auch ohne ein großes Spieltagspublikum erfreut sich der Verein als eine Art Satellitenclub zahlreicher Sympathisanten in weiten Teilen der Welt, die sich mit ihm verbunden fühlen.
Ein weiteres prägendes Kapitel in der Clubgeschichte, dass für Schlagzeilen sorgte, stellte das Entgehen des Absturzes des Germanwings-Fluges 9525 von Barcelona nach Düsseldorf im März 2015 dar, der absichtlich durch eine Suizidhandlung des Copiloten herbeigeführt wurde. Das gesamte Team des damaligen Drittligisten war auf der Rückreise von einem Trainingsaufenthalt, bereits auf diesen Flug gebucht. Angesichts der großen Wartezeit vor der Weiterreise nach Stockholm, entschied die Vereinsführung kurzfristig, die Mannschaft auf vorhandene Plätze in drei andere Flügen aufzuteilen, so dass diese dem Unglück entging.
Wer mehr über den Club lesen möchte, dem sei dieser Bericht auf goal.com empfohlen.
Aber widmen wir uns dem Spieltag.
Auf nach Uppsala
Der Abstecher nach Uppsala erfolgte von einem Besuch in Stockholm aus. Die rund 70km können mit dem Pendlerzug (Pendeltåg) bequem in gut 50 Minuten überbrückt werden. Ich starte am frühen Nachmittag von Bahnhof Odenplan aus. Bis zum Anpfiff um 19 Uhr soll noch etwas Zeit bleiben, um einen Eindruck von der Universitätsstadt zu gewinnen, die nach Stockholm, Malmö und Göteborg die viertgrößte des Landes ist. Der erste Eindruck geht allerdings im Wolkenbruch unter. Als sich die Waggontüren in Uppsalas Bahnhof öffnen, schüttet es aus Kübeln. Die zwei Meter aus dem Zug bis unter das Dach reichen, um nachhaltig zu erfrischen. Im Tunnel des Bahnhofs stauen sich die Menschen. Viele flüchten hinein und niemand traut sich heraus. Es herrscht die allgemein heitere Stimmung vor, die so ein Sommerregen der Kategorie Ausnahmezustand oft auszulösen vermag. Wer es nicht gerade eilig hat, nimmt es gelassen. So auch ich, denn nach 10 Minuten hellt es sich auf und ich trete meinen Weg zum Stadtkern an. Uppsala ist überschaubar. Eine Erkundungsrunde durch die Innenstadt und dann weiter bis hin zum Stadion, dem ‘Studenternas Idrottsplats’ ist fußläufig gut machbar. Auch kann man sich anhand des Flüsschens ‘Fyrisån’ gut orientieren. An dessen Ufer im Park ‘Stadsträdgården’ ist auch das Stadion gelegen ist. Die Stadt ist überaus charmant und das keineswegs nur im ‘musealen’ Sinne. Uppsala wirkt durchaus ausgeschlafen. Prägend für das Stadtbild sind nicht nur die schön anzusehenden historischen Bauwerke, die Stadt verfügt über eine hohe Aufenthaltsqualität und strahlt eine Lebensleichtigkeit aus, die teilweise an niederländische Städte erinnert. Interessant zu sehen ist auch, auf welch hohem Niveau hier der öffentliche Raum gestaltet ist.
Gerade an Städten dieser Größe lässt sich neben dem Wohlstand eines Landes oft auch seine gesellschaftliche Haltung ablesen: Was zählt das Öffentliche in der Gesellschaft und was das Private? In Skandinavien ist dabei meist zu beobachten, dass dem öffentlichen Raum und dem gemeinschaftlichen Gut eine sehr hohe Wertschätzung entgegengebracht wird. Insbesondere in Schweden, wo Dynastien von Adels- oder Unternehmerfamilien starke Einflüsse ausüben, wird deutlich, dass Investitionen in das gesellschaftliche Gemeingut traditionell als Mittel zur Sicherung des sozialen Friedens und dem Erhalt der Produktivität der Gesellschaft etabliert sind. Dies ist in Uppsala beispielsweise an einer einfachen Bushaltestelle zu sehen. Zum einen ist sie gestalterisch einfach mehr als zweckerfüllende Katalogware und zum anderen zeugt sie von einem Bekenntnis zur Allgemeinheit.
Diesmal keine neuen Socken
Das Wetter wechselt im 10-Minuten Takt. Immer wieder setzen starke Regengüsse ein. So wird mein Spaziergang zum Unterstand-Hopping: Unterstellen im Hauseingang, weiter, Ausharren in einem Tunnel, weiter, Abwarten unter dem Kioskdach, weiter…. Als ich im Stadsträdgården ankomme, in dem auch das Station liegt holt der Regen erneut aus. Hier ist es leider auch vorbei mit dem Unterstellen. Die Bäume hier sind längst durch. Ich füge mich meinem Schicksal und bahne mir im Pfützenslalom den Weg zum Stadion. Meine Schuhe, Socken und Füße sind eins geworden. Ein Schwamm. Unvermeidlich muss ich an einen ähnlich nassen Tag im russischen Tula denken, als mein Freund Artëm nach dem Besuch des Spiels Arsenal gegen Fakel ein Zweierpack Sportsocken für die Rückfahrt spendierte. Falls also der IK Sirius Socken im Fanshop hat, werde ich gern meine Kollektion erweitern. Aber daraus wird leider nichts. Der IK Sirius hat gar keinen Fanshop. Zwei Tische mit je einem Typ Schal, Baseballkappe und Wollmütze. Das ist eigentlich alles. Ohnehin geht es in dem ‘Studenternas Idrottsplats’ getauften Stadion sehr einfach und provisorisch zu. Er ist eine Baustelle. Es gibt eine nette alte Holztribüne und hinter den Toren zwei Stahlrohr-Provisorien die zur Verfügung stehen. Auf der anderen Geraden geht derweil der Rohbau einer ambitionierten Tribüne die Höhe. Nach deren Fertigstellung sollen die übrigen Seiten sukzessive nachgezogen werden. Entstehen soll ein reines Sitzplatzstadion mit 8.000 Plätzen. Sicherlich wird es dann auch Socken geben.
Derzeit ist das Stadiongelände ein etwas disharmonisches Seite an Seite des Holztribünencharmes und der Baucontainer. Immerhin: Der Regen hat aufgehört und das ist gut so, denn die überdachte Gerade war ausverkauft. Die Leute trudeln auffällig spät ein hier. Gut 4600 werden es an diesem Freitagabend.
IK Sirius
Der lokale Club Sirius besteht seit 1907. Auf die ersten 100 Jahre des Bestehens entfallen nur ganz vereinzelte Jahre der Erstklassigkeit. Am Ende der Spielzeit 2016 konnte allerdings nach 42 Jahren in unteren Spielklassen wieder der Aufstieg in die Allsvenskan gefeiert werden. Der Stadionneubau unterstreicht, dass man dort bleiben will. Die abgelaufene Spielzeit konnte man als Tabellensiebter gut abschließen, aber wir alle wissen um die Tücken des zweiten Jahres. Tatsächlich steht Sirius mit 17 Punkten aus 17 Spielen alles andere als gefestigt da. Zwar weiß man noch vier Mannschaften hinter sich, aber nur einen Punkt tiefer grüßt bereits der Relegationsrang.
Noch trüber ist die Aussicht für den Gegner aus Borlänge. Dalkurd startet mit nur 9 Punkte und der roten Laterne in diesen 18. Spieltag. Die Transfers der Sommerpause zeugen allerdings davon, dass man sich nicht aufgegeben hat und noch einmal herankämpfen will. Heute besteht die große Chance sich gegen einen direkten Konkurrenten wieder in Reichweite zu bringen. Ich kann mich da auch täuschen, aber Dalkurds Aufstellung für dieses Vorhaben liest sich mit den Namen Mohlin, Moenza, Thorbjörnsson, De John, Ceesay, Löfkvist, Tranberg, Ståhl, Awad, Strand und Markkanen nur bedingt kurdisch.
Nich ganz unwichtig is auf’m Platz
Die erste Halbzeit verfolge ich von der halb gefüllten Hintertortribüne aus, die der Heimseite zugedacht ist. Zunächst einmal wird die Tribüne unter Rauch gesetzt. Die Polizei zieht gleich zwei Junge Männer raus und interviewt sie die ganze erste Halbzeit hinter der Tribüne. Hinterm Tor machen gut 50 Leute Stimmung nach Ultra-Muster. Die übrigen Fans scheinen zunächst darauf zu warten, dass die Mannschaft mitreißt. Tut sie nicht. Im Gegenteil, Sirius überrascht durch enorme Passivität. Das wirkte beinahe, als wolle man das Spiel im Schongang gestalten. Dalkurd zeigt sich deutlich agiler und ist bereit zu investieren. Nach 27 Minuten belohnt sich die Mannschaft dann für ihre Überlegenheit und erzielt den Führungstreffer. Das Murren unter den bereits angestrengten Sirius Fans wird lauter. Es ist wie Heimspiele gegen das Tabellenschlusslicht oft sind – die Geduld ist schnell aufgebraucht. Auch die Mannschaft des IK erholt sich von dem Schock nicht mehr. Mit dem 0:1 geht es in die Pause.
Ich nutze diese, um die Seiten zu wechseln. Das gilt in zweierlei Hinsicht. Zum einen zieht es mich tatsächlich auf die andere Seite des Stadions und zum anderen schlagen auch meine Sympathien nach der ersten Halbzeit auf der Dalkurd-Seite aus.
Die Gäste werden von knapp 400 Fans begleitet, was angesichts des geringen Zuschauerschnitts daheim beachtlich ist. Ich vermute, die Fangemeinde eher über die Ballungszentren des Landes verteilt und Uppsala ist von Stockholm aus schnell erreicht.
Platz finde ich am anderen Ende der in drei Blöcke unterteilten Hintertortribüne. Hier sind ansonsten nur ein paar Versprengte und im Block ganz rechts die Gäste. Bevor ich mich orientieren kann, geht es aber schon Schlag auf Schlag. Gleich nach der Pause erhöht Ahmed Awad, für mich der Mann des Tages, auf 2:0 und in der 49. Minute Robin Tranberg auf 3:0. In der Folge ist es ein offener Schlagabtausch, in dem beide Mannschaften Chancen liegen lassen. Sirius endlich engagiert. Entschieden ist die Partie noch nicht. Dalkurd offenbart nun immer öfter, warum sie am Ende der Tabelle stehen. Als man schließlich denkt, die Nummer sei durch, setzt Sirius den Doppelschlag: 80′ und 84′, es steht 2:3 bei sicherlich noch 10 verbleibenden Minuten. Tatsächlich wird es noch einmal turbulent. Wie irgendwie immer in solchen Schlussphasen kommt es zu der obligatorischen Szene, wo die zurückliegende Mannschaft einen Elfmeter haben will. Den gibt es aber es nicht und Dalkurd fährt den ersten Auswärtssieg der laufenden Spielzeit ein.
Der Anhang feiert ausgelassen. Es ist ein ziemlich illustrer Haufen da im Gästeblock. Capos vorneweg und ein eingeübter Kern hinter dem Zaun. Das ganze eingerahmt von einem gemischten Publikum aller Couleur, dass widerum nicht so recht in die gebräuchlichen Stadionschubladen passt. Entsprechend dieser Besetzung fällt auch der Gesang etwas unkonventionell aus – zumindest für meine mitteleuropäische Stadien gewöhnten Ohren. Da mischt sich Folklore mit Tribüneschlachtrufen und das ganze wird ergänzt um eine Art Polizeisirene (!). Das Fahnenschwenken wird zwar groß geschrieben, aber in der Motivwahl ist man einfallslos. Es bleibt bei einigen der rot-grün-weißen Flaggen des kurdischen Volkes und auch zwei schwedischen Flaggen. Auch im Block scheint man also bewusst auf beide Wurzeln zu setzen. Ohnehin wirkt die Fangemeinde äußerst friedfertig. Auffallender Fanatismus lässt sich hier nicht entdecken. Aber heute ist natürlich auch aller Grund für gute Laune. Dalkurd gibt den letzten Platz an Trelleborg ab und rückt noch einmal ein Stück ran. Ein Lebensbeweis. Auch die schwache Verfassung des Gegners heute lässt hoffen. Sirius zeigte sich über Strecken desolat und empfahl sich potenziell als eine Mannschaft, die man noch tiefer hineinziehen kann. Dies ist heute schon einmal gelungen. Dalkurd ist sicher noch nicht abgestiegen und Sirius keineswegs gesichert.
Herausragend aber ist nun das Panorama. Hinter der gegenüberliegenden Tribüne erheben sich die Silhouetten des Schlosses und der Domkirche vor dem wunderschönen Abendhimmel. Die vorderste Ebene aber sind die Flutlichtmasten des Studenternas und das Spielfeld. Das Panorama fasst hervorragend zusammen, wie dieser stürmische Abend zur Ruhe gekommen ist. fg
Fotogalerie aus Uppsala (zum Vergrößern klicken)
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