- Finnland: HJK Helsinki – Rapid Wien
HJK Helsinki – SK Rapid Wien
21.08.2014, Europa League Playoffs – Hinspiel, Sonera Stadium, Endstand: 2:1
Butterfahrt nach Helsinki
Beruflicher Aufenthalt in Tallinn für mich. Auf zwei Inspektionen des örtlichen Fußballgeschehens sollte nun ein Antrittsbesuch auf dem gegenüberliegenden Ufer der Ostsee folgen. Helsinki hieß das Ziel. Neben der Aussicht auf ein besser besuchtes Spiel, bot dies auch die Chance auf ein persönliches Novum: Einen Spielbesuch ausschließlich mit dem Schiff.
12.30 Mittags Feierabend
13.30 Leinen los in Tallinn
15.30 Ankunft Helsinki
19.00 Anpfiff
22.30 Ablegen in Helsinki
00.30 Ankunft Tallinn
Das Bild im Tallink Fährterminal D gleicht dem, was ich in den Tagen zuvor schon auf dem Vorplatz zu sehen bekam. Vor allem die Helsinki Verbindung ist stark vom Alkoholtourismus vereinnahmt. Zahlreiche Fußpassagiere machen sich bepackt mit hochprozentigen Mitbringseln auf den Weg ins üppig besteuerte Finnland. Die knapp 40€ für eine Hin- und Rückfahrt am gleichen Tag ist schnell wieder rausgeholt. Die Fähre selbst ist ein amtlicher Pott. Ein Großteil des LKW-Verkehrs vom europäischen Festland nach Finnland läuft über diese Route. Bei nur zwei Stunden Überfahrt liegt der Kabinentrakt brach. Gut gefüllt aber sind Lounge und Außenterrassen. Dort lasse ich mich nieder und sehe bei gefälligem Sonnenschein zu, wie Tallinn immer kleiner wird.
Finnischer Ersteindruck
In Helsinki kommen wir außerhalb des Stadtkerns im Westhafen an. Auf die Straßenbahn verzichte ich, denn die verbleibenden dreieinhalb Stunden bieten sich ausgezeichnet zu einem Spaziergang an: Kauppatori – Domkirche – Hauptbahnhof – Finlandia Hall – Olympiastadion. Ich wandere auch durch die Erinnerungen an meinen letzten Besuch hier vor nun schon satten 14 Jahren. ‘Bomben an der Line’ war damals noch das Thema, Fußball war zu der Zeit eher zweitrangig. Aber damals wie heute gilt: Ich mag Finnland. In seiner Unaufgeregtheit ist es mir schnell heimisch.
Den Stadien nähert man sich durch einen langgezogenen Park. Mit seinen felsigen Anhöhen ist er ein Stück typisch finnische Landschaft inmitten der Hauptstadt und bietet einen ersten Überblick. Das klassisch-elegante Olympiastadion mit seinem markanten Turm nimmt sich viel Platz.
Etwas unterhalb an der Straße finden sich eine Kunstrasenanlage und das Sonera Stadion gelegen, in denen HJK seine Heimspiele austrägt. Auch hier bieten die Felsen Platz für Zaungäste, die es sich dort an diesem lauschigen Sommerabend bequem machen. Ebenso ist die Anhöhe über dem Sonera für das Bier vor dem Spiel und als Treffpunkt prädestiniert. Von hier kann man das gesamte Stadion überblicken. Lediglich dessen Dach verwehrt bereichsweise den Einblick. Auch die Ankunft der Gästefans lässt sich von hier gut verfolgen. Rapid Wien ist da.
Eine alte Vorliebe
Mancher mag es kennen: Man enwickelt schon in der Kindheit Sympathien für einen Club in einer ausländischen Liga. Zwar ist diese Zuneigung nicht immer begründbar, aber irgendwas ist da. Irgendwas macht den feinen Unterschied aus. Meine Blicke auf die internationalen Tabellen suchte immer als erstes Everton, Neapel, Lok Leipzig und eben Rapid Wien. In der jüngeren Vergangenheit hatte zudem Rapids Fanszene von sich Reden gemacht, so dass ich eine stattliche Portion Vorfreude mitbringe.
Rapid zelebriert
Mein Platz ist hinter dem Tor vor der Nordtribüne inmitten von gemäßigt aktivem HJK Publikum. Ein Stück links von uns beginnt der Gästebereich. Hinter dem Tor gegenüber ist der HJK Support angesiedelt. 10.700 Zuschauer fasst das Sonera. Das heute abend nur 6100 da sind, ist etwas enttäuschend. Nach den zahmen Veranstaltungen in Tallinn aber fühlt sich das hier richtig nach Stadion an. Das liegt zum Teil daran, dass ich das Sonera als überaus gelungen empfinde, zum anderen aber auch am Rapid Anhang. Der gibt durchgängig Gas und vermag eine Vielzahl langer Lieder mit großer Breite darzubieten. Da ist einiges dabei, was bei manch deutschem Club schnell als zu schwierig oder nicht massenkompatibel aussortiert wird. Rapid aber bringt die Geschlossenheit und Ausdauer mit, um solche Hymnen mit genug Druck durchzuziehen. Auch die HJK Belegschaft gegenüber ist mit großem Körpereinsatz unterwegs und sehr aktiv. Aber Rapids pausenloser Support lässt akustisch einfach nichts hindurch.
Umschauen in der Halbzeitpause. Die Leute hier kommen auffallend adrett rüber. Geordnete Frisur und gewählte Kleidung kennzeichnen den Helsinkier Fußballfan. Entsprechend manierlich geht es auch auf den Rängen zu. Nach der Pause nimmt das Spiel fahrt auf. Wien kann die Führung bejubeln, aber HJK wird für sein spätes Aufbäumen belohnt und verbessert durch zwei Tore seine Ausgangsposition für das Rückspiel.
Auslaufen
Mit Schlusspfiff mache ich mich gleich auf den Weg. Vom Stadion eile ich schnurstracks zum Anleger. Sibelius Monument und Felsenkirche warten unweit des Weges vergeblich auf meinen Besuch. Keine Zeit mehr. Doch das Gefühl einen perfekten Tag erlebt zu haben, lässt die Schritte leicht erscheinen. Der Abend gefällt. Helsinki gefällt.
Eine gute Stunde später bin ich auf dem Schiff. Bier und Erdnüsse erweisen sich einmal mehr als gute Heimreisebegleiter. Die Bar ist finster und die Hälfte der Leute schläft. Andere verfolgen halbherzig ein Eishockey Spiel. Kaum Sprechen. Auch ich sinke immer tiefer in die Sitzbank. Die müde Langeweile hier ist greifbar. Das kollektive Abwarten kommt einem Stillstand gleich. Alle sind wir im Ausharren vereint. Alle wollen wir nur nur nach Hause und niemand scheint gewillt, den unerwünschten Wartemoment irgendwie mit Sinn oder Aktion zu füllen.
Jammer-Rückspiel im ORF
Eine Woche später. HJK erstattet Rapid den Gegenbesuch ab. Ich schalte in den ORF Stream rein, um Teil 2 der Geschichte zu sehen. Rapid geht schnell mit 2:0 in Front. Läuft. Doch HJK trifft postwendend. Das Spiel ist lange auf Kurs Verlängerung, bevor HJK die Wiener kalt erwischt. Zwar kann Rapid in der Nachspielzeit noch auf 3:3 ausgleichen, doch da ist der Vergleich längst verloren.
Was aber absolut köstlich ist, ist dieser TV-Kommentar. Der ORF strotzt nur so von parteiischer Gekränktheit. Bissig eingeschnappt wird hier jegliche Sachlichkeit über Bord geworfen, in einem Maße, wie man es in Deutschland einfach nicht mehr kennt. Dem HJK – der Rapid 5 Tore eingschenkt hat – wird in der Schlussphase attestiert, in der bevorstehenden Gruppenphase ‘keinesfalls irgendeine Rolle spielen zu können’. Der glasklare Elfmeter für die Finnen wird mit ‘Des is jetzt a schlechter Scherz!’ beschrien. Der ORF Vertreter ringt um Fassung und memmt griesgrämig rum, wie es vielleicht zu Hochzeiten der BRD-DDR Mediengefechte noch zu hören war.
Ich selbst habe Jahre lang die Fußballübertragen in England genossen. Sowohl die Radio- als auch Fernsehberichte fand ich in Punkto Sachverstand und Unterhaltsamkeit herausragend. Es brauchte eine Weile, bis sich meine Entgeisterung über die vergleichsweise flachen deutschen Übertragungen legte. An diesem Abend aber muss ich einsehen, dass wir es noch gut haben. Oder um es im Stil des ORF auszudrücken: So eine unerträgliche Heulsusenscheiße wie das ORF sie produziert, hat Deutschland seit zwanzig Jahren, ach was dreißig Jahren nicht mehr gesehen. fg
Fotogalerie Helsinki (zum Vergrößern klicken)
Auch bei uns auf Fussballkultour:
Unser Video vom Helsinki Abend
Der Blick auf das estnische Ufer – Zwei Derbies in Tallinn
Weitere Links:
Sonera Stadion auf Wikipedia
HJK Helsinki – Offizielle Seite
Rapid Wien – Offizielle Seite
Tallink – Fährverbindungen