Das Derby
Hannover 96 – Eintracht Braunschweig
08.11.2013, Bundesliga, HDI-Arena, Endstand: 0:0
Gerüchte zum nahenden Weltuntergang
Nach Feierabend nahm das Kribbeln spürbar zu. Nach fast exakt 10 Jahren war es nun also wieder soweit – DAS Derby stand auf dem Spielplan. Und wie das so ist, warf diese Begegnung schon Wochen vorher ihre Schatten voraus. Hannover-Schmierereien am Eintracht-Stadion inklusive Verhaftungen, Anti-Gesänge während “normaler” Ligaspiele im Vorfeld, Fangesinnung kontrollierende 96er, die Zivilpolizisten auf den Leim gehen, ein Schwein mit Hannover-Schal und 95+1 Verzierung rennt durch die Landeshauptstadt… Kurz: Man freute sich offenbar aufeinander.
Am Spieltag selber kochte dann die Gerüchteküche richtig hoch. Fanzüge sollen überfallen werden, ebenso Kneipen, in denen Stadionverbotler das Spiel verfolgen werden, unterstützende Hools aus Rest-Deutschland und dem nahegelegenen Ausland reisen an, 96er patrouillieren seit Mittag durch die Stadt auf der Suche nach Opfern aus Braunschweig, usw. usf.. Da rückte das Gefühl, zu einem Fußballspiel zu fahren, mächtig in den Hintergrund. Vielleicht lebenswichtige Entscheidungen mussten getroffen werden. Schal ja oder nein? Das Portemonnaie verschlanken, damit man nach einem Übergriff nicht alle Dokumente neu besorgen muss? Auf dem Weg zum Treffpunkt des Kombinats kam die Aufregung durch. Ich versuchte, in den Gesichtern der Menschen, die ich auf meinem Weg traf, zu lesen. Ob Einbildung oder nicht – gefühlt schwankten die wortlosen Botschaften zwischen “Aha, Radaubruder, Sensationsfan, sonstewas” und “Armer Irrer, dann mal viel Glück”. Als ich dann noch einen Bekannten traf und auch dieser mitfühlend sagte: “Viel Glück und kommt heile wieder”, kam ich mir original so vor wie in “Der Herr der Ringe”, als Faramir und seine Reiter von seinem durchdrehenden Vater zur Rückeroberung von Osgiliat ausgesandt werden und die Bevölkerung schweigend Blumen auf die Straße wirft…
Die Realität bricht herein
Natürlich alles völliger Blödsinn. Per normalem Regionalexpress reisten wir an, kurz vor Hannover stiegen sogar einige “Rote” zu, alles blieb entspannt. Die Fantrennung funktionierte wunderbar, durch Tunnel wurde der Tross am Hauptbahnhof zum S-Bahn-Gleis geleitet und nach kurzer Wartezeit zum Bahnhof Linden-Fischerhof gebracht. In der Zeit wurde ordentlich gesungen, wie man auch anfangs unseres Videos sehen kann, zwei nervige Böller gingen hoch – eigentlich alles wie immer. Nur dass sich viele Einträchtler diesmal gegen Blau-Gelb und für ein zeitloses Schwarz entschieden hatten. Nun denn, wer´s braucht… Sah aber im TV wohl eindrucksvoll aus, wie ich hörte. Ein relativ kurzer Fußmarsch bis zum Süd-West-Eingang, der ausschließlich für die Gäste zurechtgemacht war, bildete das Endstück der vorfallsfreien Anreise. Auf dem Weg traf man auf viele Boss Hoss-Fans, die zum parallel stattfindenden Konzert wollten. Hier wurden vereinzelt nochmal die “Boss Hoss-Fans sind keine Verbrecher”-Sprechchöre ausgepackt, was die relativ lockere Stimmung widerspiegelte. Am Stadion hieß es dann erstmal warten, man kam kaum vorwärts. Irgendwann scheint es einigen zu bunt geworden zu sein, jedenfalls gab es kurz Aufregung, scheinbar wurden die Absperrungen eingedrückt oder ähnliches – danach konnte man jedenfalls einigermaßen zügig und ohne Kontrolle das Gelände betreten und den Blockzugang suchen.
4000 Braunschweig waren wohl zugegen, und schon vor Anpfiff gab es gesangliches Kräftemessen. Vor dem Einlauf bot leider nur die Nordkurve eine zweiteilige Choreographie dar (siehe Galerie), hier hatte ich mir mehr erhofft – im Gästestehblock wurden Fahnen und Bengalos geschwenkt. Der zweite Teil der Hannover-Choreo kam zwar recht massiv daher, ließ bei genauerer Betrachtung gestalterisch aber sehr zu wünschen übrig und wirkte durch die vielen Einzelteile irgendwie zerrissen. Da würde ich mir wünschen, dass man zum Rückspiel etwas besseres hinbekommt was möglichst das ganze Stadion einbezieht, so schwer sollte das doch nicht sein, oder? Sind ja noch genug Heimspiele dazwischen, wo man Becherpfand sammeln kann o.ä..
Anpfiff, Abpfiff, Heimreise
Dann war es soweit und eines der Top3-Derbys in Deutschland wurde angepfiffen. Um es vorweg zu nehmen: Die Partie konnte die hohen Erwartungen nicht erfüllen. Die Gastgeber spielten beinahe mit angezogener Handbremse, wollten scheinbar nicht in Rückstand geraten. Ist vielleicht auch nicht verwunderlich, wenn man den Druck erkennt, der nach 5 sieglosen Spielen und nur einem Punkt auf der durch Verletzungen und Sperren geschwächten Mannschaft lasten musste. Ansonsten sah man schon, dass Hannover hier der Favorit war. Braunschweig musste auf drei verletzte Stammkräfte verzichten, was sich in einer harmlosen Offensive bemerkbar machte. Die Abwehr stand allerdings ziemlich gut, mit einer starken Innenverteidigung und ließ bis auf einen halbwegs gefährlichen Kopfball nach einer Ecke und einem Schüsschen nach missglücktem Torwartdribbling (Hildebrand lässt grüßen) kaum etwas zu. Immerhin gab es intensive Zweikämpfe im Mittelfeld, die etwas Derbygefühl widerspiegelten.
Etwas unterrascht war ich vom Heimsupport, den ich deutlich lauter und eindrucksvoller erwartet hatte. Statt dessen erging man sich in der Nordkurve eher darin, alle 10 Minuten mit ein paar Bengalos zu wedeln als einen geschlossenen Singsang zu installieren. Dagegen kam ich mir letzte Saison in Köln viel, viel, viel kleiner in der Gästekurve vor. Gestern wurden sogar Spottgesänge wie “Für ein Heimspiel seid ihr ganz schön laut”, “Heimspiel in Hannoi” und “Bitte nicht so laut” angestimmt. Von “Warum seid ihr H+++n so leise” ganz zu schweigen.
In der zweiten Halbzeit kippte die Stimmung dann mit zunehmender Spieldauer zu Gunsten Eintrachts. Der Heimbereich wurde leiser, forderte lediglich kurz vor Schluss nochmal vielstimmig den Siegtreffer, bei den Gästen wuchs die Zuversicht auf mindestens einen Punktgewinn und damit auch die Feierlaune. Vom Übergewicht ging es wechselhaft zu. Mal hatte man das Gefühl, 96 sei nah am Treffer, dann wiederum hätte mit etwas Dusel einer der passablen Ansätze des BTSV zu einem Tor führen können. Das Glück eines späten Treffers hatte man aber wohl gegen Leverkusen aufgebraucht. So blieb es dann beim torlosen Remis, wofür die Hannoveraner Pfiffe kassierten, während auf Eintracht-Seite die Laune bestens war.
Während des Rückwegs herrschte eine komische Stimmung in der BTSV-Karawane. Man sprach miteinander, es murmelte allerorten, aber freudige Gesänge oder was man sich sonst so nach einem Punktgewinn im Derby vorstellt, fand nicht statt. Die Wartezeit bis der Zug heimwärts bestiegen werden konnte zog sich diesmal laaange hin, im Anschluss dauerte es auch laaange, bis der Zug endlich losfuhr. Dafür ging es ohne Halt direkt nach Braunschweig zurück, wo der Dönermann als einzig noch geöffneter Laden mit Bier und Essen ein kleines Vermögen gemacht haben dürfte.
Noch ein Nachsatz zum Spiel oder zwei: Im Übrigen war dies das erste Aufeinandertreffen beider Mannschaften, das ohne Torjubel endete, und nebenbei war es das 1000. (tausendste!) 0:0 der Bundesligahistorie. Wir waren dabei und das Beste: Eintracht bleibt mindestens für 10,5 Jahre Derbysieger!
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